Wälle, Mauern, Gräben, dicht bebaute Häuserzeilen und viel Grün: In erstaunlich gut erkennbaren Details führt das Stadtmodell „Osnabrück 1633/1648“ das Aussehen Osnabrücks vor 375 Jahren vor Augen. Es steht in St. Marien und war Teil der Ausstellung „Dem Frieden ein Gesicht geben“, die das Diözesanmuseum Osnabrück von Juni bis Oktober 2023 gemeinsam mit dem Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (IKFN) der Universität Osnabrück zeigte. Auf Initiative des Landschaftsverbandes Osnabrücker Land (LVO) wurde das Modell von 1998 aus seinem Dornröschenschlaf geholt und kann nun dauerhaft besichtigt werden.

Das Stadtmodell - ein Highlight

Aufgefrischt und aktualisiert sowie ergänzt um eine ausführliche Infoleiste vermittelt das Modell, wo die Gesandten wohnten, welche Wege sie zurücklegten, wo man tagte, aber auch was spezifisch osnabrückisch war: Seien es die großen kirchlichen Freiheiten, deren Bewohner steuerfrei blieben, seien es die Einschnürung zwischen Alt- und Neustadt, das viele Wasser und die Befestigung, an die heute nur Straßennamen erinnern, oder seien es die Steinwerke und nicht zuletzt die vielen Kirchen und Klöster.

Dr. Hermann Queckenstedt, Direktor des Diözesanmuseums, zeigt sich von dem Modell begeistert; für ihn ist es ein „Highlight der Ausstellung“, das alles bündele, was in den dezentralen Ausstellungen im Stadtraum erfahrbar sei. Der maßgebliche Impuls für die Einbeziehung dieses flächenmäßig größten Exponats von fast 15 m2 kam vom LVO. Geschäftsführerin Dr. Susanne Tauss ist über das Ergebnis der Aufarbeitung und Neupräsentation, wie sie sagt, „sehr glücklich“. Das Modell sei schon im Vorfeld des 350. Friedensjubiläums im Rahmen intensiver Forschungen zu Stadt- und Baugeschichte Osnabrücks entwickelt worden und blieb für 2023 anschlussfähig. Einige Mitstreiter von damals haben auch jetzt wieder mitgearbeitet, so der Kartograph Klaus Meinert, der einstige Staatsarchivleiter Prof. Dr. Gerd Steinwascher und der ehemalige städtische Denkmalpfleger Dipl.-Ing. Bruno Switala. Auch sie sind überzeugt vom Ergebnis der Überarbeitung. Und Meinert bekennt, er sei „schon immer ein Fan dieses Stadtmodells“ gewesen. Ihm verdankt sich auch die Erstellung aktualisierter Karten und Pläne.

Pinsel, Leim und Farbe

Für die handwerkliche Überarbeitung dieses beeindruckend großen Modells sprang aufgrund eines gesundheitlich bedingten Ausfalls des ursprünglich vorgesehenen Modellbauers die Tischlerei Seibt ein: Deren Auszubildende Lea Meinecke übernahm kurz vor Ende ihres letzten Lehrjahres die akribische Reparatur, Farbauffrischung und Ergänzung der grünen Flächen des Modells. Ihr habe diese kleinteilige Arbeit, wie sie begeistert mitteilt, „total viel Spaß gemacht“, auch wenn sie zum Teil mit anderen Materialien zu tun hatte als sonst, nämlich zum Beispiel dicken Papplagen. Es sei für sie „ein ganz ungewöhnliches und schönes Projekt gewesen“, sagt die mitten in den Prüfungen steckende Fast-Gesellin. Und ihr Chef Wolfgang Seibt ergänzt, es sei „eine schöne Idee, dieses detailstarke Stadtmodell zum Jubiläumsjahr zu aktivieren“.

Leihgabe des Kulturgeschichtlichen Museums

Das Modell ist Eigentum des Kulturgeschichtlichen Museums Osnabrück, das es als Leihgabe für die Ausstellung zur Verfügung stellt. Dr. Thorsten Heese, Stadthistoriker und stellvertretender Leiter des Museumsquartiers, ist beeindruckt von der neuen Frische des Modells und den vielfältigen Vermittlungsmöglichkeiten, die es bietet. Der Aufstellungsort St. Marien sei für die Präsentation ideal, und zentraler gehe es kaum. Alle Beteiligten sind sich einig, dass der Kirchengemeinde St. Marien großer Dank dafür gebührt, das Modell hier zeigen zu können.

Spannende neue Forschungsergebnisse

Dass überhaupt die Fragestellung der Ausstellung – wie lebten und arbeiteten die Gesandten während des Friedenskongresses – neu aufgerollt werden konnte, verdankt sich vor allem den Forschungen der jungen Wissenschaftler am IKFN: Sie haben jüngst anhand von Tagebüchern, Berichten, Briefen der Kongressteilnehmer einen Großteil von deren Wohnungen, Wegen und Verhandlungsorten in Osnabrück identifiziert: So nahm man wegen der besseren Luft und um Begegnungen zu vermeiden, lieber den Weg über die Wälle als durch die stinkenden Gassen, ließ bei Hochwasser schnell eine Brücke bauen, angelte an der Hase, traf sich zwanglos in Gärten. Den fernen Vorgesetzten aber klagte man sein Leid über unzumutbare Häuser, schlechtes Wetter und Krankheiten. Dass es zuhause kaum anders zuging, spielte wohl keine Rolle. Die Glanzseite der Friedensverhandlungen zeigte sich hingegen in materieller Prachtentfaltung, die man – als kaiserlicher, dänischer oder schwedischer Gesandter – dem eigenen Ansehen schuldete. Insgesamt verliefen die Verhandlungen phasenweise schleppend, bis einige beherzte Gesandte zu überkonfessionellen Kompromisslösungen drängten, um endlich dem jahrzehntelangen Krieg ein Ende zu machen. 1648, nach über fünf Jahren Friedenskongress, war es endlich soweit.

Eine Stadt im Ausnahmezustand

Dass während der fünf Verhandlungsjahre eine überschaubare Stadt wie Osnabrück ein Magnet für Händler, Kaufleute, fahrende Leute war, ist anzunehmen. Es ging sicher recht bunt zu, lebhaft und konsumfreudig, wie so manche Hinweise der Kongressteilnehmer erkennen lassen. Dass Kinder geboren wurden, Ehen geschlossen und Gesandte oder Menschen aus ihrem Gefolge starben und in Osnabrück bestattet wurden, ist gleichfalls nur ein Aspekt dieser facettenreichen Phase in Osnabrücks Stadtgeschichte. Das Modell jedenfalls regt an, sowohl die heutige Stadt in der alten zu suchen als auch umgekehrt. Samuel Arends, der als IKFN-Projektmitarbeiter den wissenschaftlichen Hintergrund für die Infotexte am Stadtmodell beisteuerte, ist jedenfalls überzeugt: „Das Stadtmodell zeigt eindrucksvoll, wie stark ganz Osnabrück vom Geschehen des Westfälischen Friedenskongresses geprägt war.

Stadtmodell nun dauerhaft in St. Marien

Für Stadtführungen sei das Modell in St. Marien „eine Wucht“, sagt Carsten Niemeyer, Küster an der Osnabrücker Marktkirche und zugleich selbst viel mit Besuchergruppen unterwegs. Aber nicht nur dann ist das Stadtmodell ein Hingucker. Dank der täglich von 10 bis 17 Uhr offenen Türen der zentral gelegenen Kirche neben dem Rathaus und in Sichtweite des Osnabrücker Doms strömen unglaublich viele Menschen in den gotischen Bau – und werden von dem fast 15 Quadratmeter großen Stadtmodell magisch angezogen. In der eigens erstellten Broschüre sind alle Infotexte nachzulesen, die auf der Leiste rund um das Modell ebenfals zu finden sind. Die kurzen Texte geben den an den Friedensprozessen beteiligten Gesandten ein Gesicht, verorten sie mit ihren Quartieren im Stadtmodell und lassen sie zu Wort kommen: " ... das beste hauß fast in gantz Oßnabrück ... den Herren Vici-Cantzlar D. Lampadio ... so nahe gelegen; dass mann auch durch den garten durchbrechen undt allezeit zusammen kommen könnte." (Christian Werner,  magdeburgischer Sekretär, 1645).

Broschüre zum Stadtmodell wieder erhältlich

Die Broschüre zum Stadtmodell "Osnabrück 1633/1648" enthält alle Texte, die das Modell selbst auf der umfassenden Infoleiste erläutern, und bietet Interessent:innen die Möglichekit, beim Umwandern des Modells oder auch zuhause alles nachzulesen..

Das kleine Heft wurde zunächst vorsichtig in einer Auflage von 500 Stück gedruckt, ging weg wie warme Semmeln und war nach kurzer Zeit vergriffen. Auch die Exemplare der zweiten Neuauflage fanden in kürzester Zeit Abnehmer:innen. Inzwischen wurde die dritte Auflage gedruckt. Die Broschüre ist gegen Spende in St. Marien erhältlich.
Möglich wurde die Publikation durch die Unterstützung der Herrenteichslaischaft, der ev.-luth. Kirchengemeinde St. Marien und der Firma OSNAtours.de.