Preußen und Osnabrück – Tagung des Landschaftsverbandes eröffnete zahlreiche neue Erkenntnisse

Etwa hundert Menschen, Fachleute und interessierte Laien gleichermaßen, strömten vom 25. bis 27. September 2025 in die Aula der Universität Osnabrück. Sie alle kamen, um etwas über einen wenig beleuchteten Zeitraum der Osnabrücker Geschichte zu erfahren: die Phase von der preußischen Okkupation des Königreichs Hannover bis zum Ende des Kaiserreichs 1918. Ermöglicht hatte dies der Landschaftsverband Osnabrücker Land e. V. (LVO) im Rahmen seiner dreijährigen Folge landesgeschichtlicher Tagungen. Er kooperierte dabei eng sowohl mit der Universität Osnabrück als auch mit weiteren Institutionen in der Region, ferner dem LWL-Preußenmuseum in Minden.

Das Osnabrücker Schloss in preußischer Zeit

Prof. Dr. Jochen Oltmer, Vizepräsident der Universität, stellte in seiner Begrüßung bereits sehr spezifische Bezüge des Tagungsortes, des Osnabrücker Schlosses, zur preußischen Zeit her: So war um 1900 durchaus strittig, was mit dem stark vernachlässigten Baukörper geschehen solle, der unter einer wenig strukturierten Mischnutzung durch Behörden, Wohnungen und Aktenlager litt. Der Bedeutungsverlust der einst repräsentativen Anlage erlebte damals seinen Tiefpunkt. Dieser Einstieg führte schon mitten in spannende Fragestellungen zur preußisch-kaiserzeitlichen Phase der Osnabrücker Geschichte. Der Lokalbezug wurde dann noch bei einem Spaziergang der Tagungsgäste unter Leitung von Rolf Spilker und Dr. Thorsten Heese vertieft, die zu Repräsentationsbauten, so der einstigen Provinzialregierung oder dem Kulturgeschichtlichen Museum, sowie zu einschneidenden städtebaulichen Aktionen wie der Befreiung der alten Stadt aus ihrer Ummauerung führten.

Übergänge und mentale Brüche

Es war wohltuend festzustellen, in welchem Maße sich im Verlauf der Tagung die Vorträge verzahnten und ergänzten. So öffneten Dr. Nikolas Rügge, Prof. Dr. Hans-Georg Aschoff, beide Hannover, sowie Dr. Karl Murk aus Marburg den Blick zunächst auf Vorgeschichte, Übergänge und insbesondere auf die Frage nach Akzeptanz und Widerstand angesichts einer so gravierenden politischen Veränderung wie einer neuen Staatszugehörigkeit und ihren Folgen. Den Blick aus der ‚Zentrale‘ auf die ‚Provinz‘ umriss hierzu Dr. Hartwin Spenkuch aus Berlin. Die mentalen Brüche zeigten sich u. a. in der Abkehr von oder auch der alten Treue zur hannoverschen Monarchie. Doch auch Hoffnungen auf Neuerung und Liberalisierung z. B. der Wirtschaft konnten sich – das war in Kurhessen nicht anders als im alten Fürstentum Osnabrück – mit dem Neuanfang unter preußischer Flagge verbinden.

Podiumsdiskussion "Preußen jenseits der Klischees?"

Auf diesen bedenkenswerten Einstieg folgte gleich am ersten Abend die Podiumsdiskussion „Preußen jenseits der Klischees?“. Hochkarätige Gäste waren geladen, so Andreas Kilb, Kulturredakteur der Frankfurter Allgemeinen in Berlin, Dr. Jürgen Luh vom Research Center Sanssouci in Potsmann und PD Dr. Franka Maubach von der Universität Bielefeld – allesamt ausgewiesene Kenner und langjährige Beobachter preußischer Geschichte, preußischer Phänomene und der Rezeptionsgeschichte Preußens in Ost- und Westdeutschland. Das ausgesprochen lebendig geführte Gespräch wurde von Dr. Sylvia Necker moderiert, Leiterin des LWL-Preußenmuseums in Minden. Angesprochen wurden nicht nur die Wendesituation um 1990, die in hoch emotionale Diskussionen z. B. über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses mündete und Preußen zur Projektionsfläche für Sehnsüchte machte. Preußen wurde auch als widersprüchliches Gebilde beschrieben, zu dem häufig nur ein Teil der Geschichte weitererzählt werde. Einig waren sich alle Podiumsgäste, dass ‚Preußen‘ längst nicht ausdiskutiert sei. So ließen sich beispielsweise noch zahlreiche Themen finden, die noch nicht hinreichend ausgeleuchtet seien – bis hin zur aktuellen und durchaus fragwürdigen politischen Aneignung. Vielfach werde Preußen einseitig und wenig reflektiert wahrgenommen. Dabei könne es beispielsweise spannend sein, die Rolle, die preußische Offiziere im Kontext des Hitlerattentats vom 20. Juli 1944 spielten, unter dem Gesichtspunkt preußischer Wertesysteme zu betrachten. Symbolik und Klischees verbänden sich ebenso mit einem weitgehend unbekannten Preußen; die Bereitschaft, sich mit der Komplexität und Widersprüchlichkeit Preußens auseinanderzusetzen, fehle vielfach.

Weitere Themenbereiche

Der weitere Verlauf der Tagung zeigte, wie sich die Akteure der preußisch-kaiserzeitlichen Phase sowohl auf dem Feld der Politik (Anpassung/Opposition), von Handel, Gewerbe und Landwirtschaft, aber auch in konfessioneller Hinsicht sich mit der neuen staatlichen Einbindung arrangierten. Militärische Aspekte kamen ebenso zur Sprache wie Fragen der Kultur- und Geschichtspolitik, des Kolonialismus in musealer Vermittlung oder auch die Preußen-Wahrnehmung jenseits von Osnabrück, in Oldenburg, oder im Rahmen eines Denkmalprojektes zur ersten preußischen Königin für die Iburg. Die lebhaften Diskussionen im Anschluss an die einzelnen Vorträge, aber auch ihre angeregte Fortsetzung in den Pausen belegten, in welchem Maße die Preußen-Tagung des LVO die Gemüter beschäftigte. Natürlich konnten, wie bei fast jeder Tagung üblich, längst nicht alle Themenbereiche ausgeleuchtet werden, die gleichfalls gelohnt hätten. Darauf wiesen Prof. Dr. Gerd Steinwascher und Dr. Christine van den Heuvel zu Beginn der Abschlussdiskussion hin und nannten exemplarisch die Rolle des Judentums ebenso wie jene der Frauen in der preußisch-kaiserzeitlichen Gesellschaft. Es bestand Einigkeit, dass sich diese Liste verlängern ließe.

Begleitprogramm

Dass die gesamte Veranstaltung ‚rund‘ war, belegten nicht nur zahlreiche positive Rückmeldungen der Tagungsgäste, sondern auch das Interesse am weiteren Begleitprogramm: Flankierend zur Tagung, verteilt auf zwei Wochen, wurden in der Lagerhalle drei ‚Preußen-Filme‘ gezeigt. Der erste, die Fassung des „Hauptmanns von Köpenick“ von 1931, umriss, auf der Grundlage eines Theaterstücks von Carl Zuckmayer und einer historischen Begebenheit im Jahr 1908, die tragischen Auswirkungen der Mühlen preußischer Bürokratie. Der Filmklassiker „Der Untertan“ von Wolfgang Staudte (1951) wurde am zweiten Abend der Tagung gezeigt und ließ mitunter den Atem stocken sowohl angesichts filmästhetisch grandioser Bilder als auch angesichts der nationalistischen Ideologisierung der Hauptfigur. Den Abschluss der Reihe bildete die erste Fassung von „Mädchen in Uniform“ mit ausschließlich weiblichen Darstellerinnen und unter Regie von Leontine Sagan von 1931, eine Anklage unmenschlicher preußischer Erziehungsmethoden, der im Jahr der Erstaufführung extrem polarisierte, nicht zuletzt angesichts einer angedeuteten Liebe unter Frauen. 

Danksagungen

Der Vorsitzende des LVO, Erster Stadtrat Wolfgang Beckermann, war sich schon in seiner Begrüßungsrede sicher, dass die fächerübergreifende Tagung zahlreiche neue Erkenntnisse generieren und zur Diskussion stellen werde. Er bedankte sich herzlich beim Historischen Institut der Universität Osnabrück, namentlich Herrn Prof. Oltmer, sowie beim Nds. Landesarchiv Osnabrück, dem Museumsquartier, dem Diözesanmuseum sowie dem vorbereitenden Fachgremium für die gute Zusammenarbeit. Für finanzielle Unterstützung dankte er ausdrücklich dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, der VGH Stiftung, der Stiftung der Sparkassen im Landkreis Osnabrück, der Landschaft des ehemaligen Fürstentums Osnabrück, dem Café Extrablatt sowie der Herrenteichslaischaft. Für den ersten Impuls für das Tagungsthema dankte er ganz besonders Dr. Christine van den Heuvel, ehem. Präsidentin des Nds. Landesarchivs, und Dr. Ulrich Winzer vom Landschaftsverband. Erstere habe den entscheidenden Impuls gegeben, Preußen und Osnabrück zum Thema zu machen. Letzterer habe, „weitgehend ehrenamtlich!“, für die Konzeption der Tagung gesorgt. Dank sagte Beckermann aber auch an die Adresse des niedersächsischen Ministers für Wissenschaft und Kultur Falko Mohrs, der die Schirmherrschaft zur Tagung übernommen hatte.

Tagungsband

Der letzte Akt dieser erfolgreichen Tagung wird im Herbst 2026 mit Publikation der Tagungsbeiträge in einer gewohnt qualitätvollen Publikation vollzogen. Alle Interessierten dürfen sich jetzt schon darauf freuen.